Entschädigung für Altersdiskriminierung

Benachteiligt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 i.V. mit § 1 AGG, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld wegen des erlittenen Nichtvermögensschadens nach § 15 Abs. 2 AGG. Auf ein Verschulden kommt es nicht an.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch wegen eines erlittenen Nichtvermögensschadens nach § 15 Abs. 2 AGG ist nicht, dass der Arbeitnehmer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 i.V. mit § 1 AGG ist grundsätzlich das Entstehen eines immateriellen Schadens beim Arbeitnehmer anzunehmen, der zu einem Entschädigungsanspruch führt.

Der Arbeitgeber, der einen Beschäftigten im Anwendungsbereich des AGG wegen seines Alters weniger günstig behandelt hat als einen anderen in einer vergleichbaren Situation, muss im Prozess zunächst die legitimen Ziele für die Ungleichbehandlung darlegen und gegebenenfalls beweisen. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast folgt aus allgemeinen prozessualen Grundsätzen, weil es sich bei § 10 AGG um einen Rechtfertigungsgrund und damit um eine für den Arbeitgeber günstige Regelung handelt. Die entsprechenden Tatsachen muss der Arbeitgeber konkret und nachvollziehbar im Prozess vortragen. Es genügt dabei nicht, dass er sich schlagwortartig auf eine „ausgewogene Personalstruktur” beruft bzw. geltend macht, er benötige eine andere Altersstruktur.

Der Begriff „Sicherung der Personalstruktur” i. S. des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erfasst nicht eine Veränderung der Personalstruktur, sondern nur deren Erhaltung.

Die Parteien streiten darüber, ob die Zuordnung der Kl. zum Personalüberhang wirksam war, und ob das bekl. Land die Kl. wegen ihres Alters benachteiligt und sie deswegen einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung hat.

Eine Zuordnung zum Personalüberhang nach den in § 6 aufgeführten Auswahlkriterien findet nicht statt, wenn die Weiterbeschäftigung der Beschäftigten insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (einschließlich der Ziele des § 3 Abs. 3 Landesgleichstellungsgesetz) im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Gemäß § 6 VV Auswahl erfolgt die Auswahl der Beschäftigten stichtagsbezogen nach den Kriterien Lebensalter, Beschäftigungszeiten, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung, wobei jedem dieser Kriterien bestimmte Punkte zugeordnet werden. Die VV Auswahl war Grundlage für die Ermittlung des Personalüberhangs in den Kindergärten des Eigenbetriebs Kindergärten City. Die Geschäftsleitung des Eigenbetriebs Kindergärten City fertigte unter dem 26.10.2006 einen Vermerk zur „Benennung von Erzieherinnen und Mitarbeiterinnen in der Tätigkeit als Erzieherinnen für den Personalüberhang im Eigenbetrieb Kindergärten City zum 01.01.2007”. Darin legte die Geschäftsleitung unter anderem Folgendes fest: Für die Beschäftigten der Vgr. VIb/Vc BAT erfolgt die Anwendung des § 6 und die Bepunktung nach Aktenlage und ergänzender Erhebungen bei den Beschäftigten.

Die Zuordnung von Beschäftigten zum Personalüberhang erfolgt innerhalb der einzelnen Kindergärten. Sie bilden den jeweiligen Auswahlbereich. Es werden die Kindergärten zu einem Auswahlbereich bestimmt, die mit Stichtag 01.10.2006 die größten Differenzen zwischen Personal-Soll und Personal-Ist aufwiesen, absteigend bis zu der erforderlichen Zahl der abzubauenden Stellen. Die Festlegung der einzelnen Kindergarten-Standorte als Auswahlbereiche erfolgt in der Erwägung, dass die Kindergärten, die über eine adäquate Personalzuweisung verfügen oder gar personell unterausgestattet sind, von einem überflüssigen Wechsel ihrer Mitarbeiterinnen verschont bleiben. Dies entspricht auch dem Grundsatz die Anzahl der Bezugspersonenwechsel möglichst gering zu halten. Alle Erzieherinnen ab dem vollendeten 40. Lebensjahr, die in die Vergütungsgruppe VIb/Vc eingereiht sind. Mit Schreiben vom 17.11.2006 informierte das bekl. Land die Kl., dass sie ab dem 01.01.2007 dem Personalüberhang zugeordnet werde. Seit diesem Zeitpunkt wurde sie zunächst kurzfristig als Erzieherin in verschiedenen Kindertagesstätten, teilweise auch in privaten Kindergärten, eingesetzt.

Die Kl. machte am 18.01.2007 gegenüber dem bekl. Land schriftlich einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch unter Berufung auf § 15 AGG geltend mit der Begründung, sie sei aus Gründen des Alters benachteiligt worden. Die Kl. hat die Ansicht vertreten, Gegenstand einer Feststellungsklage könne auch die Zuordnung zum Personalüberhang sein. Die Bildung der Auswahlgruppe für Erzieherinnen ab dem vollendeten 40. Lebensjahr sei rechtswidrig gewesen und stelle eine Benachteiligung gem. § 1 AGG i.V. mit § 7 AGG dar. Das bekl. Land habe weder dargelegt, dass eine ordnungsgemäße Auswahl zu einer Überalterung geführt hätte, noch welche Personalstruktur nunmehr durch die tatsächliche Auswahl herbeigeführt worden sei und warum diese zum Betrieb der Kindergärten unbedingt erforderlich sei. Allein die Verjüngung der Belegschaft sei kein legitimes Ziel i.S. des § 10 AGG. Damit gehe auch keine Verbesserung der Personalstruktur einher. Für die Entstehung des geltend gemachten Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG sei die Schwere der Verletzung unerheblich. Die Vorschrift verlange keinen besonders festzustellenden Schaden. Es handele sich um eine verschuldensunabhängige Haftung. Bei der Höhe der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass sie einer erheblichen Belastung ausgesetzt worden sei. Sie habe sich von den zu betreuenden Kindern und Eltern verabschieden müssen. Auch schaue sie auf eine ungewisse Zukunft und sei den Belastungen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt. Sie müsse sich von dem bekl. Land vorhalten lassen, sie sei auf Grund ihres Alters nicht mehr leistungsfähig und grundsätzlich zu alt für ihren Beruf. Die Entschädigung müsse auch geeignet sein, den Arbeitgeber generell von Diskriminierungen dieser Art abzuhalten.

Die Kl. hat in der Revisionsinstanz beantragt, festzustellen, dass die Kl. in ihrer Funktion als Erzieherin des Eigenbetriebs Kindergärten City nicht dem so genannten Personalüberhang des Landes Berlin zugeordnet ist; das bekl. Land zu verurteilen, an die Kl. ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, welches jedoch einen Betrag von 4000 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen.

Das bekl. Land hat behauptet, im Eigenbetrieb seien bis zu 80 Stellen zu viel vorhanden gewesen. Ein besonderes betriebliches Interesse habe vorgelegen, da im Eigenbetrieb Kindergärten City das Durchschnittsalter der Erzieher/innen der VergGr. VIb/Vc bei 45 Jahre gelegen habe. Für ein ausgewogenes Erziehungsangebot sei eine ausgewogene Altersstruktur der Betreuungspersonen wichtig. Eine einseitige Altersstruktur beinhalte für den Eigenbetrieb erhebliche Risiken, insbesondere das zeitnahe Ausscheiden vieler Mitarbeiterinnen in immer kürzeren Zeiträumen und die damit erhöhte Wahrscheinlichkeit von Bezugspersonenwechseln in erheblicher Größenordnung. Mit einer Altersstruktur der Erzieherinnen von über 45 Jahren sei die Aufrechterhaltung eines gesicherten Kita-Betriebs nicht möglich. Ein Entschädigungsanspruch würde ferner Verschulden voraussetzen.

Das LAG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1000 Euro ergebe sich aus § 15 Abs. 2 AGG. Das bekl. Land habe die über 40-jährige Kl. unmittelbar benachteiligt, indem es bei der Zuordnung zum Personalüberhang hinsichtlich der Sozialauswahl nur Arbeitnehmer/innen berücksichtigt habe, die das 40. Lebensjahr vollendet hatten. Eine Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung ergebe sich weder aus § 8 AGG noch aus § 10 S. 1 AGG. Es fehle bereits an einem rechtmäßigen Ziel i.S. des § 10 S. 1 AGG. Die Verwaltung habe sich in der Ausübung ihres Ermessens selbst durch Verwaltungsvorschriften gebunden. Der Eigenbetrieb habe über § 5 Abs. 2 VV Auswahl hinausgehend nicht eine Sicherung, sondern eine Veränderung in der Personalstruktur vornehmen wollen. Selbst wenn aber die Herbeiführung einer ausgewogenen Personalstruktur grundsätzlich ein legitimes Ziel wäre, wäre der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig, wie die angestrebte Personalstruktur im Einzelfalle habe aussehen sollen, warum eine solche Personalstruktur ein legitimes Ziel darstelle und weswegen die ergriffenen Mittel angemessen und erforderlich seien. Diese Darlegung sei dem bekl. Land nicht gelungen. Da das bekl. Land die Sozialauswahl nicht auf den gesamten Eigenbetrieb, sondern lediglich auf die jeweilige Kindertagesstätte erstreckt habe, müsse auch die Personalstruktur in der jeweiligen Kindertagesstätte dargelegt werden. In der Kindertagesstätte, in der die Kl. tätig gewesen sei, sei die Personalstruktur fast ausgeglichen gewesen. Ferner sei die behauptete Gefahr einer nicht mehr kontinuierlichen Betreuung der Kinder nicht nachvollziehbar. Es könne dahinstehen, ob ein Entschädigungsanspruch nur bestehe, wenn eine erhebliche Diskriminierung vorliege, weil die Erheblichkeitsgrenze vorliegend überschritten sei. Es könne auch offen bleiben, ob die Entschädigungspflicht für Nichtvermögensschäden verschuldensunabhängig sei, da das bekl. Land die Kl. fahrlässig diskriminiert habe. Die Kl. habe ihren Entschädigungsanspruch auch innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1ArbGG geltend gemacht. Die gegen die Zuordnung zum Personalüberhang gerichtete Feststellungsklage sei unzulässig.

Die Parteien fallen unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Kl. ist Beschäftigte im Sinne des AGG, weil sie Arbeitnehmerin ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG), und das bekl. Land ist Arbeitgeber im Sinne des AGG, weil es die Kl. als seine Arbeitnehmerin beschäftigt (§ 6 Abs. 2 S. 1 AGG).

§ 15 Abs. 2 S. 1 AGG gibt der Kl. wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Tatbestandsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 i.V. mit § 1 AGG. Dies stellt zwar § 15 Abs. 2 AGG nicht ausdrücklich klar, es ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen in § 15 AGG. Das bekl. Land hat gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 i.V. mit § 1 AGG verstoßen. Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das bekl. Land hat nach Durchführung einer Auswahl zwischen mehreren Erziehern/Erzieherinnen die Entscheidung getroffen, die Kl. dem Personalüberhang zuzuordnen. Nachfolgend hat es die Kl. mit Schreiben vom 27.12.2006 ab 01.01.2007 zum Zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool) versetzt. Die weniger günstige Behandlung erfolgte gerade des Lebensalters. Bei dem Alter handelt es sich um einen in § 1 AGG genannten Grund, wobei unter Alter das Lebensalter und nicht das Dienstalter zu verstehen ist. Dies folgt sowohl aus dem Gesetzeswortlaut als auch aus der Gesetzesbegründung. Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die weniger günstige Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt sein muss, ist ein Kausalzusammenhang erforderlich. Dieser ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen in § 1 AGG genannten oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist (BT-Dr 16/1780, S. 32). Ausreichend ist ferner, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Die Benachteiligung der Kl. entfällt nicht dadurch, dass die von dem bekl. Land durchgeführte Maßnahme, nämlich ihre Versetzung rechtsunwirksam war. Dies ergibt die gesetzliche Systematik von § 7 Abs. 2 und § 15 AGG.

Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters war nicht nach § 10 AGG zulässig.

§ 10 S. 1 AGG lässt ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach § 10 S. 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Rechtfertigungsgründe werden in § 10 S. 1 und 2 AGG zunächst in Form einer Generalklausel umschrieben. § 10 S. 3 AGG zählt dann sechs Anwendungsfälle auf. Dabei macht das Wort „insbesondere” deutlich, dass es sich nicht um einen abschließenden Katalog, sondern um Beispielfälle handelt. Die Voraussetzungen der Generalklausel in § 10 S. 1 und 2 AGG für eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters liegen nicht vor. § 10 S. 1 AGG erlaubt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn sie objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein, § 10 S. 2 AGG. Eine Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung kommt dann nicht gem. § 10 S. 1 AGG in Betracht, wenn das Ziel, welches mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgt wird, rechtswidrig ist. Unabhängig von der konkreten Bedeutung des Begriffs „legitimes Ziel” liegt ein solches nie vor, wenn das verfolgte Ziel gegen ein gesetzliches Verbot verstößt oder der Arbeitgeber durch die Verfolgung des Ziels die ihm unabhängig von den Vorschriften des AGG obliegenden Pflichten verletzt.

Die Bedeutung der in § 10 S. 1 AGG genannten Begriffe „objektiv” und „angemessen” und deren Verhältnis zu dem „legitimen Ziel” wird in der Literatur unterschiedlich dargestellt. So werden die Begriffe „objektiv” und „angemessen” auf die unterschiedliche Behandlung bezogen und ausgeführt, es sei unklar, was genau unter einer objektiven und angemessenen Differenzierung zu verstehen sei, durch die Eingrenzung werde aber deutlich, dass nicht generell jede Differenzierung, auch wenn hierzu ein legitimes Ziel vorliegen mag, gerechtfertigt sein könne, subjektive, willkürliche Differenzierungen würden zumindest ausgeschlossen. Als „objektiv” wird ein Ziel bezeichnet, wenn es nicht nur auf subjektiven Vorstellungen des Rechtsanwenders beruhe, sondern sich zumindest anhand von Indizien belegbar auch in der Wirklichkeit finde, dem Begriff „angemessen” komme daneben kein eigener auslegungsbedürftiger Wert zu. Teilweise werden die in § 10 S. 1 AGG verwendeten Begriffe „objektiv” und „angemessen” nicht gesondert aufgegriffen, wobei allerdings vertreten wird, dass die Voraussetzungen der Ausnahme gem. § 10 AGG denjenigen, die zur Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung gem. § 3 Abs. 2 AGG verlangt werden, entsprechen. Ferner wird vertreten, die Formulierung „objektiv” in § 10 S. 1 AGG deute darauf hin, dass nur belegbare, nachvollziehbare Erwägungen eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, nicht aber bloße Vermutungen oder subjektive Einschätzungen. Der EuGH geht in den Entscheidungen vom 22.11.2005 und 16.10.2007 davon aus, dass dann, wenn ein Ziel im Allgemeininteresse liege (nämlich die Förderung der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer), ein derartiges Ziel – wie in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/ EG vorgesehen – grundsätzlich als eine „objektive und angemessene” Rechtfertigung einer von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Ungleichbehandlung anzusehen sei.

Das BAG geht davon aus, dass als legitime Ziele i. S. des § 10 S. 1 AGG nicht nur solche anzusehen sind, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, sondern auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen, wobei es sich nicht nur um gesetzlich anerkannte Interessen handeln muss. Eine solche Auslegung ist vom Wortlaut des Gesetzes umfasst. Die Formulierung in § 10 S. 1 AGG stellt nicht auf Ziele ab, die im Allgemeininteresse liegen. Der Begriff „legitim” hat sowohl die Bedeutung „rechtmäßig”, „gesetzlich anerkannt” als auch „gerechtfertigt”, „vertretbar” bzw. „im Rahmen bestehender Vorschriften erfolgend”, „gesetzlich”, „rechtmäßig”, aber auch „verständlich”, „vertretbar” oder „gesetzlich anerkannt”, „rechtmäßig”, aber auch „berechtigt”, „begründet”, „allgemein anerkannt vertretbar” Der Wortlaut lässt damit auch die Auslegung zu, dass grundsätzlich alle anerkennenswerten Interessen für eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters herangezogen werden können. Aus dem Gesamtzusammenhang des § 10 AGG ergibt sich, dass mit legitimen Zielen nicht nur Ziele im Allgemeininteresse gemeint sind. Dies folgt unter anderem daraus, dass es sich bei den in § 10 S. 3 Nrn. 1 bis 6 AGG genannten Zielen nicht ausschließlich um im Allgemeininteresse liegende handelt. Dies gilt z.B. für die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung und das Dienstalter für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile (Nr. 2) bzw. für die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand (Nr. 3). Dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Bestimmung legitimer Ziele nicht nur von der Verwirklichung staatlich definierter Gemeinwohlbelange ausging, sondern sogar vorrangig die Situation des einzelnen Unternehmens und der Branche im Blick hatte, ergibt sich auch aus der Begründung des AGG. Dort heißt es: „Die Legitimität eines Zieles ist unter Berücksichtigung der fachlich-beruflichen Zusammenhänge aus Sicht des Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien zu beurteilen. Dies können auch Ziele sein, die über die Situation eines einzelnen Unternehmens oder einer Branche hinausgehen und von allgemeinem Interesse sind, wie etwa Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung”.

Den Begriffen „objektiv” und „angemessen” kommt folgende Bedeutung zu: Es ist zu prüfen, ob das verfolgte Interesse auf tatsächlichen und nachvollziehbaren Erwägungen beruht und ob die Ungleichbehandlung nicht nur auf Grund von bloßen Vermutungen oder subjektiven Einschätzungen vorgenommen wird (Begriff „objektiv”). Ferner ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Danach muss das verfolgte Ziel in einem angemessenen Verhältnis zu der Ungleichbehandlung stehen (Begriff „angemessen”). Dafür ist eine Abwägung zwischen dem Schutz vor Ungleichbehandlung und dem verfolgten Ziel vorzunehmen. Die Ungleichbehandlung muss letztlich durch das verfolgte Ziel sachlich gerechtfertigt sein. Daneben ist gem. § 10 S. 2 AGG zu prüfen, ob auch die eingesetzten Mittel zur Erreichung des Ziels verhältnismäßig sind./

Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt keinen schuldhaften Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot voraus.

Der EuGH ist bereits in seiner Entscheidung vom 08.11.1990 zu der Richtlinie 76/207/EWG davon ausgegangen, dass diese die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung keineswegs vom Nachweis eines Verschuldens oder vom Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes abhängig macht. In der Entscheidung vom 22.04.1997 führt der EuGH aus, dass dann wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, den Verstoß gegen das Verbot der Ungleichbehandlung mit der Sanktion einer Entschädigung zu belegen, der Verstoß gegen das Verbot der Ungleichbehandlung für sich genommen ausreichen muss, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne dass die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können. Ferner setze die Richtlinie (Richtlinie 76/207/EWG) voraus, dass diese Sanktion zur Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes geeignet sei, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber habe und auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehe.

Auch in der Gesetzesbegründung zu § 15 AGG heißt es, der Anspruch auf Entschädigung erfülle die Forderungen der Richtlinien sowie der Rechtsprechung nach einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot durch den Arbeitgeber. Eine sachgerechte Auslegung des § 15 II AGG führt dazu, dass es sich bei dem Entschädigungsanspruch um einen verschuldensunabhängigen Anspruch handelt. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH stünde eine Regelung, die als Sanktion für den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot die Zahlung einer Entschädigung vorsieht und den Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers von einem Verschulden des Arbeitgebers abhängig macht, nicht im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Daher ist bei der Auslegung das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu beachten. Eine solche Auslegungsverpflichtung ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar. Das Gebot gilt allerdings nur innerhalb der Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung. Diese werden bestimmt durch die allgemeinen Auslegungsregeln. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf jedoch zu dem Wortsinn und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht in Widerspruch treten. Diese Auslegungsgrenze steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat mehrfach ausgeführt, das innerstaatliche Gericht habe das nationale Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräume, und „soweit wie möglich” richtlinienkonform auszulegen.

§ 15 Abs. 2 AGG sieht einen Entschädigungsanspruch wegen eines Schadens vor, der nicht Vermögensschaden ist. Daraus folgt weder, dass eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Weise einer „Herabwürdigung” des Beschäftigten voraussetzt, soweit nicht das entsprechende Merkmal in § 3 Abs. 3 oder Abs. 4 AGG zur Anwendung kommen soll, noch bedarf es neben der Feststellung eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot jeweils einer gesonderten Feststellung eines weiteren immateriellen Schadens.

Bereits der Wortlaut des § 15 AGG steht der Annahme entgegen, zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für den Entschädigungsanspruch sei, dass der Beschäftigte „herabgewürdigt” oder ihm sachwidrig die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme am Arbeitsleben einzig auf Grund seines „Soseins” genommen worden sei. Eine solche Interpretation kann nicht dem Begriff „Schaden, der nicht Vermögensschaden ist” entnommen werden. Der Eintritt eines immateriellen Schadens setzt nicht zwingend eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus, jedenfalls nicht in der Weise, dass es zu einer Herabwürdigung der Person gekommen sein muss. Eine solche Interpretation widerspräche ferner dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Gemäß § 1 AGG ist Ziel des Gesetzes, die Benachteiligung aus den dort genannten Gründen zu verhindern oder zu beseitigen. In § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG werden die Begriffe „unmittelbare” und „mittelbare Benachteiligung” definiert. Die dortigen Begriffsbestimmungen zeigen, dass eine Benachteiligung nicht erst dann vorliegt, wenn es zu einer Herabwürdigung des Beschäftigten oder zu einer schwerwiegenden Verletzung dessen Persönlichkeitsrechts kommt. § 15 Abs. 2 AGG enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch, so dass nicht die Grundsätze, die für den Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, anzuwenden sind. Nach diesen leitet sich aus § 823 BGB i.V. mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens nur aus einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. schwerem Verschulden her. Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung des § 15 Abs. 2 AGG die Forderungen der Richtlinien sowie der Rechtsprechung des EuGH nach einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion bei Verletzung des Benachteiligungsverbots erfüllen. In der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber klar, dass die Entschädigung ausschließlich für immaterielle Schäden gewährt wird, die regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus den in § 1 AGG genannten Gründen vorliegen, wobei § 15 Abs. 2 AGG gegenüber § 253 BGB die speziellere Norm ist. Demnach bedarf es bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot keiner zusätzlichen Feststellung oder Darlegung des Eintritts eines immateriellen Schadens für einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 15 Abs. 2 AGG. Ob in bestimmten Ausnahmefällen ein immaterieller Schaden und damit ein Entschädigungsanspruch zu verneinen ist, weil die Benachteiligung so geringe Auswirkungen hat, dass die Zahlung einer Entschädigung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Benachteiligung steht, brauchte im Streitfalle nicht entschieden zu werden, weil ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG – wenn überhaupt – nur in ganz eng umrissenen Ausnahmefällen in Betracht kommen könnte und ein solcher nicht vorliegt. Die Kl. hat wegen ihres Alters eine für sie nachteilige Behandlung erfahren. Sie wurde dem Personalüberhang zugeordnet, und das bekl. Land hat sie zunächst so behandelt, als sei sie wirksam zum Zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool) versetzt worden. Bereits dadurch ist keine für die Kl. nur unbedeutende, sie kaum belastende Situation geschaffen worden, die es rechtfertigen könnte, einen immateriellen Schaden zu verneinen.

Da das bekl. Land gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat, ist es nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet, der Kl. eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. § 15 Abs. 2 AGG entspricht § 253 BGB. Dies bedeutet, dass dem Gericht ein Beurteilungsspielraum bzgl. der Höhe der Entschädigung eingeräumt wird, um bei der Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung die Besonderheiten jedes einzelnen Falls berücksichtigen zu können. Hängt die Höhe des Entschädigungsanspruchs von einem Beurteilungsspielraum ab, ist die Bemessung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Die Festsetzung der angemessenen Entschädigung obliegt demnach nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das RevGer. Dabei ist revisionsrechtlich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob es gegen Rechtssätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung durch das Tatgericht sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalls. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben, und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss.

Die Kl. hat die Frist zur Geltendmachung des Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG gewahrt. Nach § 15 Abs. 4 S. 1 AGG muss der Anspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wenn Tarifvertragsparteien nicht etwas anderes vereinbart haben. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt (§ 15 Abs. 4 S. 2 AGG). Die Kl. hat mit Schreiben vom 18.01.2007 einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend gemacht, indem sie ein Schmerzensgeld verlangt hat. Die Geltendmachung einer bestimmten Entschädigungshöhe ist dabei nicht erforderlich. Kenntnis von der Benachteiligung bedeutet, Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Da die Kl. erst mit Schreiben vom 27.12.2006 ab 01.01.2007 zum Zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool) versetzt worden war, begann die Frist erst mit der Bekanntgabe dieser Versetzung.

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